Rückfall

Rückfall

Rückfall. In den siebziger Jahren las ich von einem Ehepaar, dass eine größere Untersuchung über das kontrollierte Trinken in den USA gemacht hatte. Ich besorgte mir den Originalartikel auf Englisch und übersetzte ihn mühseelig. Das Fazit: Es sollte möglich sein, so die Autoren, kontrolliert trinken zu können.

Gesagt getan. Ich hatte damals, ich erinnere mich noch genau, gerade eine gute Flasche Cognac für meinen Vater gekauft, der damals noch lebte. Sie stand in der Besenkammer. Ein Gedanke setzte sich in mir fest. Mein kleiner Alkoholiker, der seit einiger Zeit abstinent schlief, meldete sich und sagte laut und vernehmlich: Also Wolfgang, wenn das geht, dann solltest Du mal einen kontrollierten Selbstversuch starten. Wenn es nicht klappt, kannst Du ja immer noch aufhören.

Mein kleiner Wölfi. Immer für ein paar Ideen gut, vor allem wenn es darum ging, einen Weg aus der Misere Abstinenz zu finden. Es passte ihm schon lange nicht mehr, dass ich nichts trank und auch noch einigermaßen zufrieden dabei. Nein, dass passte ihm nicht. Nun begann eine kleine Phase der Einflüsterung: Also, wenn Du zum Beispiel heute Abend einen kleinen Test machst und aus der Flasche vom Alten ein oder zwei Gläser trinkst, und danach keinen Bock hast, um weiter zu trinken? Was wäre dann?

Ja, was wäre dann? Dann könnte ich? Nein, natürlich noch nicht. Aber ein Anfang wäre es doch wohl, oder?

Ich hielt ein paar Tage Stand, dann holte ich die Flasche, nicht ohne vorher meiner Frau zu sagen, du ich mache einen kleinen wissenschaftlichen Versuch. Unter kontrollierten Bedingungen.

Meine Frau, die damals noch keine Ahnung von Sucht hatte, ich trank, seit ich sie kannte, nicht mehr, stimmte nach einiger Überlegung zu. Was konnte schon passieren?

Das Experiment gelang. Ich trank genau zwei kleine Coganc und hörte danach auf. Glücklicherweise hatte ich den Versuch auf Abends gelegt und so konnte ich leicht beduselt ins Bett gehen. Da ich lange abstinent war, schlugen die beiden kleinen Gläser schon gut an. Ich schlief in dieser Nach sehr gut!

Am nächsten Morgen der große Händetest: Zitterten sie?

Nein. Sie zitterten nicht. Zu meiner Frau sagte ich: Erste Phase bestanden. Klappt. Nun ein paar Tage Pause. Und dann zweiter Versuch: Drei Schnaps.

Gesagt getan. Ich kürze die Geschichte hier etwas ab. Ich schaffte es in zwei Wochen die Flasche in Portionen, die ich kontrolliert vergrößerte, zu vertilgen. Ohne Fingerzittern oder Ausfallerscheinungen.

Zu meiner Frau sagte ich stolz: Experiment gelungen. Ich kann kontrolliert trinken.

Zur Belohnung! Zur Belohnung gehen wir heute auf eine Fete und da trinke ich mal ganz normal. (Das hieß, ohne Kontrolle, also einfach vollsaufen.) Ich betrank mich an diesem Abend so, dass meine Frau mich mit einem Freund nach Hause tragen musste, beim Gehen stützen, meinte ich später. Und: Am nächsten Morgen war mir übel, ich musste kotzen und meine Finger zitterten, ziemlich stark sogar.

Mittags war ich im Laden und holte mir einen Jägermeister, nachmittags eine kleine Kiste Bier. Und zwei Tage später war ich wieder so drauf, wie früher.

Das war mein damaliger Versuch: Kontroliertes Trinken. Für mich kann ich heute nach vielen, vielen Jahren feststellen. Ich kann jedenfalls nicht (mehr) kontrolliert trinken.

geschrieben von Wolfgang Weikert