Lichtblick-in-Bielefeld
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Anton E.(2) Mein Leben danach

Angeregt durch meinen ehemaligen Therapeuten setze ich mich nun wieder hin und versuche die 1 ½ Jahre seit meiner Therapie aufzuschreiben.

Es ist viel passiert, sehr viel und doch kommt es mir im Moment nicht so vor. Vielleicht, weil es zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dass ich mein Leben wieder ganz gut im Griff habe.
Gegen diese Selbstverständlichkeit will ich nun angehen und mich bewusst und intensiv mit mir selber auseinandersetzen.

Was dabei heraus kommt, weiß ich noch nicht. Doch eines weiß ich und das ist sicher: "Ich bin seit 2 Jahren Trocken". Wahnsinn!

Vor Beginn meiner Therapie hätte ich nie gedacht, das einmal von mir behaupten zu können. "Trocken". Ein wunderbares Wort, kurz und bündig. Aber was dieses Wort für mich bedeutet, können wohl nur selber Betroffene ermessen.

Die ersten Tage und Wochen

Auf der Heimfahrt gingen mir viele Dinge durch den Kopf. Es gab vieles was ich erledigen wollte.
Am Wichtigsten war für mich, gleich vom Bahnhof aus, zu meinem Anwalt zu gehen. Unter meiner Ehe musste ein Strich. Ein wirklicher Neuanfang.
Als ich aus dem Bahnhofsgebäude kam, fühlte ich mir unheimlich stolz.
"Verden hier bin ich wieder und dieses Mal mache ich es besser."
Ich hatte eine Therapie gemacht. Ich war wieder wer.



 

Zum Anwalt und zur Suchtberatung bin ich hin, dann in den Bus gestiegen und zu meiner kleinen Wohnung. Ich setzte mich erst einmal hin. So schlecht schien mir die Wohnung gar nicht mehr. Es war meine Wohnung. Auspacken, einkaufen, sauber machen.

Abends kam meine Schwägerin und sagte mir, dass meine Frau wieder in Lüneburg wäre und die Kinder bei ihrer Schwester. Am nächsten Tag sollten mir die Kinder gebracht werden. Ich war der Meinung, dass es besser für die Kinder wäre, wenn ich sie in der Wohnung meiner Frau betreue. Aber erst ab Mittag, da ich vorher ja noch zum Arbeitsamt musste.
So ist es dann auch abgelaufen.
Ich zum Arbeitsamt, Anmeldung und von da zur Arbeitsvermittlung.
Und bei wem musste ich ein? Zu meinem speziellen Freund, mit dem ich 1995 einen Disput hatte wegen einer Haushaltshilfe und Sperre, weil ich auf meine Kinder aufgepasst hatte, als meine Frau ins Krankenhaus musste.
Er war sehr freundlich und fragte auch gleich, was ich den für eine "Kur" gemacht hätte. Als ich ihm erzählte, dass es keine Kur sondern eine Therapie war wegen Alkohol, fragt er etwas überrascht: "Ist das wirklich so ein Problem?". Er trinkt nach Feierabend auch sein Bierchen. "So fing es bei mir auch an" sagte ich ihm.
"Aber jetzt sind Sie Trocken, das ist schön". Das war es.




 

Als ich in der Wohnung meiner Frau war, fieberte ich dem Eintreffen meiner Kinder entgegen. Es war ganz komisch. Ich hatte sie anders in Erinnerung und sie sind nicht auf mich losgestürmt, wie ich es erwartet hatte.
Sie waren eher abwartend. Sie musterten mich. Wie ist er wohl jetzt, werden sie gedacht haben. Es war die nächsten drei Tage ganz gut, aber ich war Vater und Aufpasser auf Zeit.
Am vierten Tag kam dann die Mama wieder und meinte ich solle noch einige Tage bleiben, sie fühle sich noch nicht so gut.
Aber das wollte ich nicht. Sie hat dann eine Freundin angerufen und als die kam, habe ich die Wohnung wieder verlassen.
Ich fühlte mich unwohl in der Gegenwart meiner Frau. Abgrenzen, das war für mich wichtig. Nur das Allernötigste besprechen und dann Tschüß, so wollte ich es haben. Nicht wieder einfangen lassen.



 

Die nächsten Tage verbrachte ich damit, meine Wohnung von Grund auf zu putzen. Einige Bierdosen fanden sich auch noch an. Die musste ich wohl so gut gebunkert haben, dass ich sie selber nicht mehr gefunden hatte.

Mir war wichtig, den Tag abwechslungsreich zu gestalten. Nur nicht wieder in alte Langeweile verfallen. Ich ging viel spazieren an der Weser, fuhr viel mit meinem Fahrrad in die Stadt, um Leute zu besuchen und schaute öfter mal bei der "Ambulanten Hilfe" und der Suchtberatung vorbei.
Ein- oder zweimal die Woche besuchte ich meine Kinder für eine Stunde.
Die Bude meiner Frau war meistens voll mit Leuten, die tranken und kifften.
Meine Kinder taten mir irgendwie leid, aber ich dachte, ich könne darauf sowieso nicht viel Einfluss nehmen.
Des öfteren wurde ich von Bekannten und der Verwandtschaft angesprochen, ich solle doch zum Jugendamt gehen und die Kinder zu mir holen.
Ich wiegelte ab und sagte: "Wenn ich das Jugendamt einschalte, sind die Kinder weg. Ich bekomme sie nicht, weil ich Alkoholiker bin und auch keine passende Wohnung habe."
Innerlich war ich hin- und hergerissen, bin dann aber doch nicht hin.





 

Mittlerweile hatte ich auch gelernt, in meine Richtung zu denken.
Welche Möglichkeiten und Freiheiten ich jetzt hatte. Zum ersten Mal fühlte ich mich wieder richtig frei. Ich konnte meine Tage gestalten, wie es mir passte. Aber allgegenwärtig war der Gedanke daran, dass ich Alkoholiker bin und aufpassen muss. Überwogen hat aber die Freude und die Begeisterung für das abstinente Leben. Es war ein Gefühl des Glücks, nicht mehr trinken zu "müssen"!

Während der Therapie hatte ich mir vorgenommen, den Kontakt zu andern aus der Gruppe nicht abbrechen zu lassen.
Ich hatte ja Zeit und deswegen schickte ich jede Woche mindestens einen Brief an jemanden, der noch in der Therapie war oder schon zu Hause war. Von der Therapie kamen meistens einige Tage später Anwortbriefe oder Postkarten. Von den anderen die schon wieder zu Hause waren, haben manche bis heute nicht geantwortet oder ich habe nach einigen Wochen nichts mehr von ihnen gehört.

Die ersten Wochen hatte ich noch Einzelgespräche bei der Suchtberatung, solange bis eine Nachsorgegruppe komplett war.
Bei einem dieser Einzelgespräche wurde mir nahelegt, zusätzlich noch eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Etwa zur gleichen Zeit durften meine Kinder mich regelmäßig am Wochenende besuchen und auch übernachten. Das war aber kein Entgegenkommen meiner Frau sondern vielmehr das Bedürfnis ihrerseits auch mal ausspannen zu können. Leider benutzte sie diese Zeit, um noch mehr feiern und auf Achse gehen zu können.
Wenn sie Sonntagnachmittag die Kinder abholte, sah sie meistens sehr kaputt aus.

 

Ich versuchte meinen Kindern nur der Papa zu sein, der ich immer sein wollte.
Wir gingen viel spazieren, viel auf den Spielplatz und so wie es meine Geldbörse zuließ, kaufte ich ihnen Spielzeug, damit sie bei mir auch Spielzeug hatten.
Die kleine Nicki, die ja während meiner Therapie geboren war, musste sich erst an mich gewöhnen, aber sie war sehr pflegeleicht. Nur nachts musste ich immer einmal hoch. Als die Kinder dann Sonntagnachmittag immer abgeholt waren, machte ich meine Wohnung sauber und ging danach noch eine Stunde spazieren.
Es war doch auf einmal eine Leere da. Von Freitag bis Sonntag keine ruhige Minute und dann auf einmal Ruhe. Zuviel Ruhe!
Ich habe mich dann innerlich mit mir so geeinigt, unter der Woche etwas für mich zu tun und am Wochenende ganz und gar für die Kinder da zu sein.



 

Während der Therapie hatte ich mir auch vorgenommen, mich hinzusetzen und mein Leben aufzuschreiben. Was ich mir vorgenommen hatte, wollte ich auch durchziehen. Nicht wie früher etwas vornehmen und dann wird doch nichts daraus.
Außerdem dachte ich, könnte es mir helfen, meine bewegte Vergangenheit besser zu verarbeiten. Ich wollte zusätzlich zur Therapie noch mehr für mich tun. Nicht wie viele andere, Therapie und dann Schluss. Nein, ich wollte alles erdenkliche dafür tun, um Trocken zu bleiben.
Ich setzte mich also hin und fing an zu schreiben.
Mir viel es am Anfang schwer, die richtigen Worte zu finden. Wie lange war das her, dass ich mich hingesetzt hatte und einen Aufsatz geschrieben habe? Seit meiner Schulzeit nicht mehr.
Aber irgendwie ging es doch und dich schrieb und schrieb. Manchmal ganze Nächte durch. Als es draußen dann hell wurde, setzte ich einen Kaffee auf und habe das Geschriebene noch einmal überflogen.
Dann legte ich mich hin und versuchte zu schlafen. Aber das Aufschreiben meines Lebens hatte in mir doch einiges an Gedanken und Gefühle aufgewirbelt. Hauptsächlich negative. Irgendwo war mir sehr unwohl, das alles noch mal durchzugehen. Andererseits wollte ich es doch auf das Papier schreiben, dann wäre ich es los.
Ich glaube drei oder vier Wochen saß ich fast jeden Wochentag, außer am Wochenende, über meinem Schreibblock. Einmal habe ich bewusst zwei Tage Pause gemacht, um mich zu entspannen, wieder in die Gegenwart zu kommen. Und auf einmal war ich fertig. Fast 120 Seiten DIN A4 hatte ich vollgeschrieben. Ich war mächtig stolz, etwas besonderes getan zu haben, für mich.





 

Die Sekretärin der Suchtberatung hatte sich vorher bereit erklärt, es abzutippen bzw. auf Computer (Diskette) und dann auszudrucken. Als ich Juni das fertige Werk in der Hand hielt, war es einfach geil. Das hatte ich geschrieben. Mein Leben. Etwas besonders eben.

Ich schickte dann ein Exemplar an jemanden der Suchtberichte und Lebensgeschichten sammelt. Zur Antwort bekam ich dann ein oder zwei Wochen später, dass er sich sehr bedankt, aber für sein neustes Buchprojekt einfach keinen Verleger findet. Ich war doch enttäuscht. Vorher hatte ich mir schon ausgemalt, meine Geschichte mal in einem Buch lesen zu können. Aber es sollte nicht sein. Ich verfolgte es auch nicht mehr weiter denn die Ereignisse überstürzten sich auf einmal.

Meine Frau musste wieder nach Lüneburg und ich musste wieder meine Kinder betreuen. Außerdem wollte sie zum 01.07.1997 in eine größere Wohnung ziehen. Sie fragte mich, ob ich ihr beim Umziehen helfe, der Kinder wegen. Ich erklärte mich zuerst bereit mitzuhelfen.
Als ich dies bei der Therapiegruppe erzählte, waren alle total überrascht und konnten mich nicht verstehen. Am Ende dieses Gruppengesprächs war ich dann von den anderen überzeugt worden, dass ich wieder einen Fehler machen würde. Ich würde mich wieder einspannen lassen. Die ganze Zeit bis dahin war ich auf Abgrenzung und Loslösung von meiner Frau bedacht. Auf einmal helfe ich ihr und ihrem Freund beim Umzug. Wahnsinn!
Nur gut, dass ich die Gruppe hatte, die mir das aufzeigte. Ohne die Gruppe wäre ich wieder in eine Richtung marschiert wie früher. Ich hätte wieder etwas getan, was ich eigentlich nicht wollte. Wieder mal hatte ich gedacht, der Kinder wegen etwas tun zu müssen, was gar nicht an dem ist.
Ein geistiger und gefühlsmäßiger Rückschritt.


 

Vorher passierte aber noch etwas wichtiges.
Ich ging zu einem Elternsprechtag meines Sohnes in die Schule. Der Lehrer war sehr freundlich und freute sich, mich endlich mal persönlich kennenzulernen. Er teilte mir mit, dass der mit Kollegen und Kolleginnen gesprochen hätte und alle der Meinung wären, das Jugendamt müsste eingeschaltet werden.
Das ganze Verhalten meines Sohnes und auch sein Aussehen würden darauf hindeuten, dass er kein geordnetes Leben führt. Von schmutziger Kleidung bis zu wenig schlaf.
Ich erzählte ihm dann, dass ich von meiner Frau getrennt lebe, dass mein Sohn auch viel durchmachen musste bei der Trennung und davor.
Er meinte, ob ich nicht die Kindererziehung übernehmen könne.
Ich erzählte ihm, dass ich Alkoholiker bin, seit drei Jahren aus der Therapie bin und nur eine kleine Wohnung außerhalb hätte. Daraufhin sagte er: "Sie machen einen ganz anständigen Eindruck auf mich und dass er mir das zutrauen würde."
Das Jugendamt müsste er auf den Fall einschalten. Es könnte passieren, dass mein Sohn für ein halbes Jahr zu Pflegeeltern kommen könne. Das wollte ich natürlich nicht. Ein paar Tage später stand die Frau vom Jugendamt vor der Tür. Ich bat sie herein und wir tranken Kaffee. Sie fragte mich, ob ich es mir zutrauen würde, die Kinderbetreuung auch längerfristig zu übernehmen. Ich bejahte dies. Sie meinte, dass es doch eine große Belastung für mich wäre und solange sei ich ja auch noch nicht Trocken. Wenn ich Unterstützung bräuchte, solle ich mich bei ihr melden.
Einerseits war ich sehr froh, dass ich die Kinder vor dem Heim bewahren konnte, andererseits war es natürlich auch eine Belastung und Druck. 1995 hatte ich ja schon einmal meine Kinder betreut. Nur ich hatte zu sehr an das Wohl meiner Kinder gedacht und mich selbst dabei nicht mehr so wichtig genommen. Und als der Ärger mit dem Arbeitsamt und der AOK dazu kam, hatte ich mir dann wieder einen gesoffen.
Das wollte ich auf keinen Fall mehr. Mit der Frau vom Jugendamt war ich dann auch so verblieben, dass ich eine Woche später bei ihr vorbeikommen sollte. Irgendwo war es nichts halbes und nichts ganzes.







 

Ich betreute zwar meine Kinder, aber wie sollte es weitergehen, wenn meine Frau wieder aus dem Krankenhaus kam?
Am Wochenende des Umzuges habe ich mir kann meine Kinder geschnappt und bin in meine Wohnung.
Als ich Sonntagabend dann bei der neuen Wohnung meiner Frau ankam, fand ich noch ein ziemliches Chaos vor. Der Freund meiner Frau meinte, ich solle noch ein paar Tage in meiner Wohnung bleiben, bis er uns sein Schwager alles fertig hätten.
Das wollte ich nicht.
Mein Sohn musste zur Schule, meine Tochter in den Kindergarten und ich wollte einfach nicht mehr der Spielball sein und mich hin- und herschieben lassen.
Den Kindern machte ich Abendbrot und brachte sie zu Bett. Dann begann ich aufzuräumen. Alles war noch in Säcke verpackt. Kleidung für den nächsten Tag, Vorhänge, Gardinen, Handtücher, Lampen. Als erstes brachte ich überall die Lampen an, so dass sich Abends noch weiter aufräumen und sortieren konnte. Vorher aber brachte ich die leeren und auch vollen Biere und Schnapsflaschen in den Müll. Die ganze Wohnung miefte irgendwie nach Alkohol.
Am nächsten Tag brachte dann der Freund meiner Frau noch einige Sachen und ich merkte, wie unwohl er sich fühlte. Er war schließlich mit meiner "Noch-Frau" zusammen. Ihn kannte ich von früher von einer Entgiftung. Ich machte ihm dann klar, dass ich es mir hier so gut wie möglich einrichten wollte, bis meine Frau aus dem Krankenhaus kam. Er verzog sich dann und ich und meine Kinder waren alleine in der Wohnung. So wollte ich es auch haben.





 

Ein oder zwei Tage später stand meine Frau wieder in der Tür. Ich erzählte ihr von dem Gespräch mit dem Lehrer und der Frau vom Jugendamt. Ihre Reaktion war klassisch. "Ich lasse mir meine Kinder nicht wegnehmen", sagte sie energisch. "Dann sage das der Frau vom Jugendamt", meinte ich und packte wieder meine Tasche, um in meine Wohnung zu fahren.

Ich also wieder in meiner Wohnung. Wie geht das bloß weiter, dachte ich. Am nächsten Morgen bin ich dann gleich zum Jugendamt und schilderte die Sachlage. Bei dem Gespräch stellte sich heraus, dass die erst einmal abwarten wollten, wie es jetzt mit meiner Frau weitergeht. Gegebenenfalls wollten sie meiner Frau eine Betreuerin zur Seite stellen. Das war es. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Ich wahr wohl wieder mal nur der Notnagel, dachte ich, aber ich war in der Not für meine Kinder dagewesen und das konnte ich nur, weil ich trocken war.
Auch meine Therapie habe ich noch rechtzeitig gemacht, dachte ich. Diese Gedanken konnte ich bei meinen Gruppen- und Einzelgesprächen äußern und loswerden. Das tut gut. Ich war nicht mehr alleine. Früher hätte ich mich verkrochen und gemeint, damit müsse ich alleine fertig werden.

Kaum vier Tage zu Hause, ließ sich meine Frau wieder nach Lüneburg einweisen. Sie hatte mit ihrem Freund Schluss gemacht und es gab wohl mächtig Zoff. Für sie war es wohl eine Flucht.
Ich also wieder zu meinen Kindern.

Einige Tage später kam die Frau vom Jugendamt wieder vorbei. Sie meinte, mit meiner Frau als Erzieherin hätte es wohl keinen Sinn mehr und sich solle mir Gedanken machen, ob ich die Kinder nicht ganz zu mir nehmen wolle. "In meiner kleinen Wohnung und dazu noch außerhalb, das geht nicht", meinte ich. Dann sollte ich mir doch eine größere Wohnung besorgen, war ihre Antwort.
Heute kann ich sagen, es war wohl die Angst vor so einer krassen Veränderung meines Lebens.
Ich wollte meine Kinder in der gewohnten Umgebung lassen. Schule und Kindergarten erhalten. Meine Kinder nicht aus ihrem sozialen Umfeld reißen. Sie hatten ja hier ihre Freunde und Spielkameraden und noch einen Umzug, das wollte ich nicht.
Die einfachste Lösung erschien mir, das ich mit den Kindern in der Wohnung meiner Frau bleibe und sie in meine kleine Wohnung außerhalb. Einerseits erschien es mir zwar ziemlich abgewichst, mich in der Wohnung breit zu machen, andererseits wäre es für die Kinder wohl am Besten. Und um die Kinder ging es ja schließlich.


 

Nach mehreren Gesprächen am Telefon mit meiner Frau, einigten wir uns darauf, dass sie erst einmal im Krankenhaus bleiben würde und versuchte eine Therapie zu bekommen. Anderenfalls würde sie vorübergehend in meine Wohnung gehen, bis sie wieder ganz auf dem Damm ist.
Ich machte ihr auch ganz unmißverständlich klar, "Wenn Du die Wohnung betrittst, bin ich wieder weg." Ihr blieb also fast nichts anderes übrig, als einzulenken.

Dem Arbeitsamt hatte ich inzwischen mitgeteilt, dass ich unter einer anderen Adresse erreichbar wäre. Ich wollte nicht jeden zweiten Tag zehn Kilometer in meine Wohnung fahren, um nach Post zu sehen. Ich bekam einen Vordruck zugeschickt, seit wann ich umgezogen sei, ob ich dem Arbeitsamt überhaupt noch zur Verfügung stehe uns so weiter. Jetzt geht das wieder los, dachte ich. Ich teilte dem Arbeitsamte mit, dass ich weiterhin meinen Wohnsitz außerhalb hätte, ich nur hier wäre, um bei meinen Kindern zu sein und auch hier erreichbar wäre.
Und prompt bekam ich wieder eine Sperre. Das gleiche Spiel wie 1995.
"Aber dieses Mal nicht" war meine Reaktion. Mit mir nicht mehr. Was für Möglichkeiten hatte ich dieses Mal?
Das Wichtigste war, ich hatte Leute, mit denen ich darüber reden konnte.


 

Ich bin zum Jugendamt und habe dann mit der Frau gesprochen. Sie rief in meinem Beisein beim Arbeitsamt an. Erst einmal ohne Erfolg. Dann meinte sie, ich müsste auch langsam wissen, was ich wollte.

"Klick" hat es dann bei mir gemacht. Am Abend vorher war ich bei "meiner" Selbsthilfegruppe und wir hatten darüber geredet. Eine Frau fragte mich dabei, was ich mir denn wünschen würde, wenn ich drei Wünsche frei hätte. Ganz klar! Weg vom Arbeitsamt, hin zum Sozi, nur noch für meine Kinder da sein können und die Wohnungsfrage müsste gelöst sein.

Der Frau vom Jugendamt sagte ich dann: "Wenn ich drei Wünsche frei hätte, wüßte ich schon was ich wollte".
"Sie haben drei Wünsche frei", sagte die Frau vom Jugendamt und lächelte dabei. Und ich erzählte ihr genau das Gleiche, wie den Leuten von meiner Selbsthilfegruppe. "Dann machen Sie das", sagte sie und klopfte auf den Tisch. "Meine Unterstützung haben Sie. Sollte es Probleme geben, ich regele das für Sie".
Auf einmal schien alles so klar. Und ich hatte ein klares Ziel, welches ich anstreben konnte.

 

Heute weiß ich, es war wieder mal Angst. Angst davor, Wünsche zu äußern und Angst davor, dass ich zur Antwort bekommen könnte, "Das geht nicht".
Nun hatte ich viel zu tun. Ich hatte den 01. September als Stichtag auserkoren, an dem alles geändert sein sollte. Ab 01 September Geld vom Sozialamt. Ab 01. September weg vom Arbeitsamt. Ab 01. September sollte Kindergeld und Erziehungsgeld auf mich laufen.
Ich hatte eine Woche bis zum 01. September. Jeden Tag zu einer Behörde oder einem Amt. Den einen Bescheid gab es nicht ohne ein anders Schreiben von einer anderen Behörde.
Früher hätte ich vielleicht aufgegeben und mir einen getrunken. Soviel Bürokratie. Aber dieses mal sagte ich mir "Und wenn ich vier Wochen lang hin und hergeschickt werde, irgendwann bin ich damit durch. Nur eine Frage der Zeit. Dann habe ich des so, wie ich es für richtig erachte".
Es waren nicht nur die Behörden und Ämter. Schule und Kindergarten hatten wieder begonnen. Frühstück und Mittagessen mussten pünktlich fertig sein. Meine älteste Tochter musste ich zum Kindergarten bringen und wieder abholen. Und da war ja auch noch meine ganz kleine Tochter. Sie war gerade erst einmal 10 Monate alt. Überall musste ich sie ja mitnehmen. Aber sie war uns ist auch heute noch sehr "pflegeleicht". Der Haushalt musste auch gemacht werden. Aber ich hab es gemacht.
Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das hinkriege. Und ich hab es hingekriegt. Nach einigen Wochen hatte ich alles auf der Reihe.
Das Sozialamt zahlte mir die große Wohnung in der Stadt. Meiner Frau die kleine Wohnung außerhalb.





 

Mitte September war mein erstes Ehemaligentreffen.
Mit dem Zug fuhr ich mit noch einem aus meiner Nachsorgegruppe dorthin. Ich war sehr aufgeregt. Wen würde ich dort treffen aus meiner Gruppe? Wie viele und wer waren wohl rückfällig geworden? Ein Exemplar meines Lebensberichtes hatte ich für meinen Therapeuten mitgenommen. Nach der Anmeldung habe ich ihm gleich erblickt und bin auf ihn zu. Nach der Begrüßung bat er mich gleich in sein Büro. Seine Worte habe ich noch in Erinnerung: "Es freut mich sehr, Sie so gesunde wiederzusehen."
Diese Worte kamen so ehrlich, so aufrichtig rüber, mir wurde irgendwie anders. Dieser Augenblick geht mir noch heute durch den Kopf. Dieser Mann hat einen ganz besonderen Stellenwert in meinem Leben eingenommen. Ich überreichte ihm gleich "mein Lebenswerk" und er überflog es. Meine private Situation schilderte ich ihm auch. Dann klopfte es an der Tür. Der nächste Ehemalige der ein paar Worte mit "seinem Therapeuten" wechseln wollte. Ich ging dann nach draußen und suchte bekannte Gesichter. Einige kannte ich nur oberflächlich, sie waren zwar zur selben Zeit wie ich zur Therapie, aber in anderen Gruppen. Aus meiner Gruppe waren es gleiche ich nur drei außer mir, die den Weg in den "Erlengrund" fanden.
Wir unterhielten uns sehr angeregt und es stellte sich heraus, dass mehrere rückfällig geowrden waren und erst gar nicht mehr zum Ehemaligentreffen gekommen sind. Nachmittags war dann ein Gruppengespräch mit anderen Ehemaligen. Jeder stelle sich vor uns sagte wann er zur Therapie war, ob er rückfällig geworden war oder nicht und was er nun so macht. Bei dieser Vorstellungsrunde kam wieder diese Ehrlichkeit und Offenheit zu Tage, die ich noch nie vor meiner Therapie erlebt hatte. Ein besonderes Erlebnis.
Als ich mit meinem Vorstellen fertig war, habe ich auf bitten meines Therapeuten Ausschnitte aus meinem Lebensbericht vorgelesen. Ich war ziemlich verlegen. Aber als ich fertig war, haben alle geklatscht. Das tat gut. Ein Gefühl der Bestätigung ging in mir durch und durch. Alkoholiker dies schon jahrelang, viel länger als ich Trocken waren, fanden das, was ich geschrieben hatte, gut.



 

Das Motto des Ehemaligentreffens lautete: "Wachsen wie ein Baum".

Nach den Gruppengesprächen wurde vor der Klinik ein kleiner Baum gepflanzt. Mit Ansprache, Musik und geistlichem Beistand. Wie dieser kleine Baum wollte ich wachsen. "In einem Jahr möchte ich hier wieder stehen", sagte ich zu mir selber. Weiterhin Trocken und an Erlebnissen des kommenden Jahres wachsen. Dieses Ziel habe ich mir selbst gesteckt. Ein Nah-Fern-Ziel. Ein Jahr kann lange sein und es kann viel passieren. Darum habe ich auch gleich wieder umgeschaltet auf Gegenwartsbewältigung. Nur wenn ich mit der Gegenwart klar komme, kann ich dieses Ziel erreichen. Einen Schritt nach dem anderen.

Als ich wieder zu Hause ankam, schliefen meine Kinder schon. Eine Bekannte hatte diesen Tag auf meine Kinder aufgepasst. Diese Bekannte betreute auch meistens meine Kinder, wenn ich zu meinen Gruppen ging oder Einzelgespräche hatte. Dieser Tag hatte mir sehr viel gebracht. Ich hatte ein Ziel erreicht und mir ein neues für das kommende Jahr gesteckt. Aber nun hieß es für mich, in meiner kleinen Welt klar zu kommen.

Die Wohnungsfrage war noch nicht geklärt. Irgendwie wollte oder konnte ich mich nicht entscheiden, meiner Frau das Messer auf die Brust zu setzen und zu sagen: "Im Interesse der Kinder nimm Du meine Wohnung und ich Deine". Sie pendelte viel zwischen meiner kleinen Wohnung und Krankenhaus hin und her. Eine Therapie war abgelehnt worden. Sie wollte die Therapie dazu benutzen, die Kinder wieder zu bekommen und das sagte sie auch ganz offen den Leiten im Krankenhaus. Anfang Oktober besuchte mir die Frau vom Jugendamt wieder. Und wieder half sie mir. Sie wüsste, wo ganz in der Nähe mehrere Wohnungen frei wären und sie könne mir zum 15. Oktober oder 01. November eine besorgen, meinte sie. Ich solle noch einmal mit meiner Frau sprechen, dass ich eine 4-Zimmer-Wohnung in Aussicht habe, nur ihr würde das überhaupt nichts bringen allein in einer 4-Zimmer-Wohnung zu sitzen. Das Sozialamt würde für sie die Miete allein nicht übernehmen. Entweder würde sie sofort schriftlich zustimmen, dass ich ihre Wohnung als Hauptmieter übernehme, oder ich würde ausziehen mit den Kindern und sie hätte eine Wohnung, die sie nicht bezahlen könnte. Sie stimmte schließlich zu und ab 01. November war ich Hauptmieter ihrer Wohnung und hatte meine kleine Wohnung außerhalb. Nebenbei lief über unsere Anwälte ein reger Schriftverkehr wegen des Sorgerechts für die Kinder. Wieder vermittelte die Frau vom Jugendamt. Am Ende einigten wir uns darauf, dass ich das "Aufenthaltsbestimmungsrecht" bekomme, das Sorgerecht behielten wir beide. Meiner Frau aber, war es auf dem Dorf zu abgelegen. Alleine konnte oder wollte sie nicht sein uns so quartierte sie sich kurzerhand bei einer ihrer Schwestern ein. "Diese Wohnung behalte ich nicht. Ich wollte ja nie da hin. Du und das Jugendamt habt mich dazu gezwungen".
"Kein Problem", sagte ich. "Über die Ambulante Hilfe finde ich sofort einen Nachmieter". Das stellte sich als Irrtum heraus. Es lief dann letzten Endes so: Zum 15. Dezember bezog meine Frau eine 2-Zimmer-Wohnung hier in der Stadt. Meine Wohnung musste ich noch volle drei Monate weiter bezahlten. Eine Monatsmiete habe ich überwiesen, die anderen zwei Mieten wurden mit meiner Mietkaution abgedeckt. So hatte ich mich mit meinem Vermieter geeinigt. Es war zwar finanziell schmerzlich, aber es war wenigstens ein Ende der Unklarheiten in Sicht. Ich wollte endlich klare Verhältnisse.

Da war dann noch ein Problem. Das Sozialamt wollte die Mietkaution meiner Frau nicht übernehmen. Ich machte wieder Abstriche und einigte mich so mit meiner Noch-Ehefrau:
Sie belässt ihre Mietkaution für die Wohnung, in der ich jetzt mit meinen Kindern lebte, ich übernehme ihre Mietkaution für die neue Wohnung und gebe ich jeden Monat 50,00 DM bis wir quitt sind. So hatte dann jeder was er wollte. Und die Verhältnisse wurden immer klarer.

Ende November hatte ich meine erste Woche ohne Selbsthilfegruppe oder Einzelgespräche. Meine Bekannte war kranke und ein anderer Bekannter, der sonst einsprang, wenn ich zur Gruppe wollte, war nicht erreichbar. Einzelgespräch hatte ich das letzte am 03. November. Damit war die ambulante Nachsorge abgeschlossen.

Erst einmal hatte ich genug um die Ohren. Das Sozialamt wollte meiner Frau keine Möbel für ihre Wohnung stellen. Das musste dann so laufen: Meine Frau nahm ihre Möbel, die sie benötigte aus meiner jetzigen Wohnung, also ihrer ehemaligen und ich konnte für mich und meine Kinder neue beantragen. Umständlicher geht es nimmer. Aber so ist die bürokratische Vorgehensweise. Also hatte ich neben Haushalt und Kindern auch noch damit zu tun, meine Wohnung einzurichten und Schränke aufzubauen. Neue Gardinen, Lampen, Kühlschrank, Herd und Waschmaschine musste ich besorgen.
Es sollte endlich ein Ende sein mit diesem hin und her. Klare Verhältnisse. Darauf arbeitete ich hin und die Zeit arbeitete für mich. Mit jedem neu angeschafften Gegenstand ging es mehr und mehr in Richtung Selbständigkeit. Die Möbel waren verteilt. Ihres war ihres und meines war meines. Jetzt fehlte nur noch die Scheidung, dachte ich zumindest. Am 15. Dezember holte meine Frau mit "ihren Leuten" die Möbel aus meiner Wohnung, die abgesprochen waren. Die Leute, die ihr halfen waren entweder besoffen oder bis obenhin zugekifft. Ich war froh, als es vorbei war. Nur mir war auch klar, dass diese Leute sich in der Wohnung meiner Frau breit machen würden. Meine Frau kiffte selber mit und trank auch wieder. Eine gewisse Zeit lang fand sie solche Leute in ihrer Umgebung toll. Mir war auch klar, dass sie irgendwann diese Leute wieder versuchen würde loszuwerden. Aber "Die Geister die ich rief", sagte schon Goethe. Da war noch ein Problem. Meine beiden großen Kinder wollten auch mal die Mama besuchen und auch bei ihr schlagen. Ich redete mit ihr und sie versprach mir, wenn sie die Kinder bei sich hat, keine Partys zu feiern, selber keinen Alkohol zu trinken und auch nicht zu kiffen. Es war kurz vor Weihnachten und für mich war es hilfreich meine beiden großen mal nicht um mich zu haben, um Weihnachtseinkäufe zu tätigen. Ich tauchte dann des öfteren bei ihr unangemeldet auf. Ich wollte ja auch wissen, ob sie sich an unsere Abmachung hielt. Es ging gerade so. Es saßen zwar zwei oder drei Leute bei ihr, denen man ansehen konnte, dass sie was mit Drogen oder zumindest mit Alkohol und weichen Drogen zu tun hatten, aber die Kinder fanden es ganz toll da. Auf den ersten Blick konnte ich auch keinen Alkohol oder Hasch entdecken. Aber da fing es schon an, in mir zu arbeiten. "Ist es richtig die Kinder da hin zu lassen", fragte ich mich. Genau diesen Umgang wollte ich ihnen ja ersparen. Es war also ein innerliches Hin und Her. Zufrieden war ich mit diesem Umstand nicht. Als meine Kinder dann wieder bei mir waren, erzählten sie, dass Mama nur ein paar Bier getrunken hätte und die anderen Leute ganz nett seien. Ich versuchte meiner Frau noch einmal ins Gewissen zu reden, aber ohne Erfolg. Und ich fing an, mich selber zu täuschen. "Na ja, wenn die Kinder gerne hin wollen", oder "solange sich das in Grenzen hält" versuchte ich mich selber zu beruhigen. Für mich war es einerseits eine Erleichterung, am Wochenende nur noch meine kleine zu haben. Andererseits fühlte ich mich nicht wohl dabei, wenn ich daran dachte, mit welchen Leuten meine Kinder dort Kontakt hatten.
Weihnachten wurde bei mir gefeiert. Sylvester wollten die beiden Großen bei der Mama feiern. Das erste Weihnachten, das ich für meine Kinder alleine ausrichtete. Die Großen fanden es ganz toll. Vor allem natürlich die Geschenke. Meine ganz Kleine wusste wohl noch nicht so recht, was los war. Überall bunte Lichter, ein Baum im Wohnzimmer. Auf jeden Fall machte sie ganz große Augen. Sie war mittlerweile ja schon 14 Monate alt und machte Anstalten, dass sie laufen wollte. Einige Schritte gingen gut, aber weit kam sie noch nicht. Aber krabbeln konnte sie wie ein Weltmeister. Meine Großen wollten auch zwischen Weihnachten und Neujahr öfter zu ihrer Mutter. "Aber nur tagsüber. Ich weiß ja nicht, was da nachts abgeht", sagte ich und versuchte für mich einen Kompromiss zu finden. Als ihre Mutter sie die nächsten Tage um 18.00 Uhr wieder zu mir brachte, erzählten meine Kinder: "Mama hat einen neuen Freund. Der ist total cool und locker drauf". Ich konnte mir anhand der Erzählungen meiner Kinder, ein Bild davon machen, wie cool und wie locker er wohl war. Auf jeden Fall kein Umgang für meine Kinder und auch nicht gut für meine Frau. Mit solchen Typen war sie in der Vergangenheit immer wieder auf die Schnauze gefallen. Aber den wollte ich mir anschauen. Drei Tag nach Weihnachten bin ich dann einfach mal mit meiner Kleinen bei ihr vorbei. Meine beiden Großen waren bei der Nachbarin von ihr, eine gemeinsame Bekannte, die alleinerziehende Mutter eines drei Jahren altes Sohnes ist. Ich klingelte an der Tür meiner Frau. Es war erst nichts zu hören, dann doch, Stimmen. Es war nachmittags gegen 14.00 Uhr. Sie waren wohl gerade mit etwas sehr Wichtigem beschäftigt. Sie kam auf jeden Fall halb nackt an die Tür. Als ich eintrat, zog er sich gerade seine Hose an und drehte sich dann einen Joint. Ich tranken einen Kaffee und schaute mich um. Viel sauber gemacht schien sie in dieser Wohnung noch nicht. Danach schaute ich noch bei ihrer Nachbarin rein. Wir unterhielten uns und sie erzählte mir, dass es nachts wohl ziemlich laut wäre bei meiner Frau. Die Nachbarn wollten sich bei der Hausverwaltung beschweren. Sie wollte ein Auge auf meine Kinder haben und mich auf dem Laufenden halten. Damit beruhigte ich mein Gewissen. Abendes redete ich dann mit meinen Kindern und sagte ihnen, dass ich es nicht gut fände, wenn sie bei Mama wären, solange diese Leute dort ein- und ausgingen. Aber sie wollten am nächsten Tag wieder hin. Abends kamen sie dann immer an mit schönen grüßen von Mamas Freund. Ich wäre ein Arschloch. Ich würde irgendwann eine auf die Fresse kriegen und so weiter. Meinen Kindern sagte ich dann, sie sollen das nicht so ernst nehmen, der wäre sowieso die meiste Zeit breit.
Anstatt zu sagen "das war es". Meine Kinder kommen erst einmal nicht mehr da hin, ließ ich sie noch Sylvester da feiern. Ich war total inkonsequent. Wie früher. Einige Tage später bekam ich nachmittags einen Anruf. "So mein Freund, hör mir mal gut zu", sagte eine Säuferstimme am anderen Ende der Leitung. "Wenn Du nicht aufhörst, solche Scheiße über mich zu erzählen, können wir uns in der Stadt treffen und ich schneide Dir mit meinem Messer Deine komischen Ohren ab". Puh, das war starker Tobak!
Ich war total verunsichert. Im Hintergrund hörte ich noch andere Stimmen. Die waren wohl gerade dabei, sich gegenseitig aufzugeilen. "Dann hör Du mal zu", sagte ich. "Das was ich über Dich sagte, ist meine Meinung. Du bis ein Säufer, Du bist drogenabhängig und kein Umgang für meine Kinder! Und wenn Du was willst, dann komm doch her. Du weißt doch wo ich wohne." Erst war es ganz still. Dann "Du hast doch früher selber gesoffen wie ein Loch", sagte er mit wütender Stimme. "Ja, nur der Unterschiede ist, ich habe gesoffen und Du säufst immer noch." Er schrie noch irgendetwas von "Sozialschmarotzer" und "Ich komme gleich vorbei" durchs Telefon. Dann wurde aufgelegt. Ich merkte, wie es in mir kochte.



 

Meine Schwägerin war an diesem Nachmittag auf eine Tasse Tee vorbeigekommen und sie fragte mich sofort "Was ist denn jetzt los?". Ich erzählte es ich. Sie war auch der Manung, dass ich den mal labern lassen sollte, aber sie nur noch ihre Rasse ausgetrunken und ist weg. Vom Kopf her war es für mich typisch jemand, der die Wahrheit nicht vertragen konnte. Ich hatte auch vom Kopf her richtig reagiert. Ihm gleich Paroli geboten. Vom Gefühl her, war mir doch etwas mulmig. Was ist, wenn der doch hier auftaucht? Andererseits, mit solchen Sprücheklopfern war ich schon zu meinen Knastzeiten gut fertig geworden. Dann grabe ich aben meine andere Seite wieder aus, dachte ich. Meine Kleine machte ihren Nachmittagsschlaf und ich wartete regelrecht darauf, dass er vorbeikommen würde. Einen großen Schraubenzieher hatte ich mir schon zurecht gelegt. Innerlich habe ich mich so aufgeregt, dass ich kurz vor dem Explodieren war. Aber er kam natürlich nicht. Ich wusste nur eins. Dieses Gefühl des Angedrehtseins, dieses Hassgefühl, das war nicht gut für mich. Früher wäre ich erst mal los und hätte mir einige Biere einverleibt, um mich wieder "runter zu fahren" und wusste: " Ich muss mit meiner Selbsthilfegruppe darüber reden." Am nächsten Tag war Gruppe. Einige Wochen war ich nicht mehr da gewesen.
Als ich an der Reihe war, habe ich meinen Gefühlen und Gedanken freien Lauf gelassen. Hier konnte ich das ja. Als ich fertig war, Schweigen. Endlos lange Stille. Kein Wort, kein Husten gar nichts. Aber ich war es los, es war raus. Schließlich fing einer an. "Soviel Aggression und Gewaltbereitschaft, die von Dir ausgeht, macht mir Angst. Angst um Dich." Und so ging es weiter. Den anderen war klar, dass ich kurz vor dem Explodieren stand. Uns es kamen Fragen. Gute Fragen. Wiese ich auf so eine Gerede so energisch reagiere? Wem wäre damit gedient, wenn ich mir den schnappen würde? Es kamen Fragen, die ich mir selbst nicht mehr stellen konnte. Ich war gefühlsmäßig so abgefahren, dass der Verstand nicht mehr viel zu melden hatte. Ich müsse die Gefühle erst mal wieder runter kriegen, kam es aus einer Ecke. Aber wie?
Ich war früher ganz gut damit gefahren, an meine Gewichte zu gehen und mich auszupowern, dachte ich und sagte ich. "Dann mach es doch" meinte jemand. Ich glaube an diesem Abend hatte mich der Besuch der Selbsthilfegruppe "davor bewahrt", über kurz oder lang einen Rückfall zu bauen und ich habe einige Fragen mit nach Hause genommen, die ich mir selber in den nächsten beantworten konnte. Es war eine ganz andere Sichtweise. Ich hatte mich voll auf den Typen eingeschossen. Aber im Endeffekt war er mein auserwähltes Opfer, auf de ich meine Wut projizieren konnte.
Die Wut über mich selber. Wieso hatte ich meine Kinder dort hin gelassen, obwohl ich davon überzeugt war, dass es nicht gut für sie ist?
Wieso habe ich nicht schon längst "Stop" gesagt und meine Kinder dorthin nicht mehr gelassen? Diese ganze Situation wäre so gar nicht entstanden, wenn ich von vornherein gesagt hätte, "Nur Du und die Kinder". Und wenn ich auch konsequent danach gehandelt hätte. Das eigentliche Problem lag bei mir. Und wenn das so ist, dachte ich mir, dann kann ich dieses Problem auch lösen. Es war auf einmal wieder ganz klar. Die Lösung lag wieder bei mir. Gleich am nächsten Tag rief ich meine Frau an und sagte ihr, dass sie sich den Weg hierher sparen könne. Die Kinder kriege sie nicht mehr, solange bei ihr solche Zustände herrschten.
Von ihrer Seite gab es auch nicht viel Gegenwehr. Sie merkte wohl, dass ihr Lebenswandel für die Kinder nicht gut war.




 

Am 21. oder 22. Januar war der Scheidungstermin. Eine Bekannte passte auf meine Kleine auf und ich konnte beruhigt zum Gericht fahren. Es war eigentlich nur noch Formsache, da wir uns schon vorher geeinigt hatten. Meine Noch-Ehefrau willigte in die Scheidung ein und so wurde aus meiner Noch-Ehefrau, meine Ex-Frau. Ich hatte solange auf diesen Tag hingearbeitet und mich auf diesen Moment gefreut, aber als wir den Gerichtssaal verließen, änderte sich eigentlich gar nichts.
Die Weichen waren ja schon vorher gestellt worden. Es war lediglich das Ergebnis. Ich fuhr gleich vom Gericht zur Geschäftsstelle der LVA um die Kinderziehungszeiten und die Kinderberücksichtigungszeiten auf mich übertragen zu lassen. Es sollte schließlich alles Hand und Fuß haben. Das war somit auch geschafft.

Die Kinder gewöhnten sich langsam daran, nicht mehr zu ihrer Mutter zu dürfen. Ich hatte mich mit ihnen hingesetzt und darüber geredet und sie haben es akzeptiert. Natürlich haben sie zwischendurch gefragt "Wann dürfen wir wieder mal nach Mama?". Ich gab ihnen dann zur Antwort: "Wenn Mama wieder auf dem Damm ist. Wenn es ihr besser geht."
Komisch, ich habe nicht mit gleichen Waffen zurück geschossen. Wie war das noch? "Ihr habt euren Papa das letzte Mal gesehen." Das hatte sie den Kindern gesagt, als ich bei meiner Heimfahrt von der Therapie Abschied von den Kindern genommen hatte und ich wusste, auch warum ich den Kindern die Mama schlecht machen wollte. Kinder im Allgemeinen haben ein Recht auf den Umgang mit ihren Eltern, auch wenn sie geschieden sind. Auch meine Kinder haben ein Recht auf ihre Mutter. Nur wenn ich als Verantwortlicher merke, dass der Umgang mit ihr schädlich für die Kinder ist, muss es nicht nur mein Recht, sondern auch meine Pflicht sein, sie von schädlichen Einflüssen fernzuhalten. Es geht nicht mehr um persönliche Gefühle. Es geht darum, was gut für meine Kinder ist. Und gerade weil ich so gedacht und gehandelt habe, fühlte ich mich gut. Ich habe die Kinder nicht benutzt und aus Vergeltung oder Rache sie nicht mehr zu ihrer Mutter gelassen. "Nein, Hass ist keine Basis."
Mittlerweile hatte ich so ziemlich alles das erreicht, was ich mir als Ziele während und nach meiner Therapie gesteckt hatte. Was nun?

 

Ich hatte gelernt, wenn ich ein Ziel erreicht habe, brauche ich ein neues, wo ich drauf hinarbeiten kann. Ein großes Ziel war das nächste Ehemaligentreffen. Aber bis dahin geht mein Leben ja weiter.
Bei einem Elternabend meines Sohnes hatte mir der Lehrer mitgeteilt, dass mein Sohn eine Woche lang in der Sonderschule überprüft werden soll, um herauszufinden, ob bei ihm eine Lernstörung oder Lernschwäche vorliegt. Er tat sich immer noch sehr schwer und es war die Frage, ob er nicht lieber zur Sonderschule gehen sollte.

Da hatte ich mein Ziel.

Ich wollte zusehen und daran arbeiten, dass mein Sohn die verkorksten letzten Jahre nicht ausbaden müsste. Er ging also eine Woche lang zur Sonderschule mit noch anderen aus seiner Klasse. Das Ergebnis was, es liegt keine Lernstörung vor. Bei einem Gespräch mit der Lehrerin von der Sonderschule stellte sich heraus, dass wir beide einer Meinung waren. Mein Sohn hatte Probleme sich zu konzentrieren. Mein Sohn hatte die letzten Jahre noch nicht verarbeitet und er hatte anscheinend immer noch Angst, dass es wieder so werden könnte wie früher. Sprich: Papa trinkt wieder, Mama hat kaum Zeit für ihn und er ist nicht soviel wert wie andere Kinder, die in geordneten Verhältnisses aufwuchsen. Aber die Lehrerin und ich waren uns auch einig, dass die Zeit es bringen würde, dass er sich wieder fängt. Also war für mich vieles wieder so klar. Es war wichtig für meinen Sohn, dass ich weiterhin trocken bleibe. Dass ich ihm das Gefühl von Sicherheit vermittle und dass ich im zeige, "Papa ist immer für Dich da." Ich brauchte wieder mal nur das in die Praxis umsetzen, was ich von meiner Überzeugung her sowieso als richtig erachtete. Bei einem meiner Letzten Gruppenabende bei der Selbsthilfegruppe brachte es jemand auf den Punkt. "Bewusstes Leben!"
Bewusst Freude erleben. Bewusst Ärger empfinden. Bewusst mich selber fragen, wie geht es mir heute? Und warum geht es mir heute so? Mich selber hinterfragen.

Ich versuchte, meinen Sohn bewusster wahrzunehmen. Seine Stimmungen und Launen zu ergründen. Wie ist eigentlich mein Sohn? Um ihm zu helfen, versuchte ich mich in ihn hineinzuversetzen. Er war und ist eigentlich genau wie ich in seinem Alter. Etwas schüchtern, sensibel und liebebedürftig. In der Schule machte er lieber keine Aufgaben, bevor er sie falsch machte. Er traute sich nicht. Er hatte Angst davor, etwas falsch zu machen.
Was hat mir damals gefehlt? Selbstbestätigung. Das mir jemand sagte, das hast du gut gemacht. Ich arbeite heute weiterhin daran, ihm dieses "Selbstwertgefühl" zu vermitteln.

In dieser Zeit verabschiedeten sich auch meine beiden Bekannten, die auf meine Kinder aufpaßten wenn ich zur Gruppe wollte. Es schlief einfach ein, dass sie vorbei schauten und ich hatte niemanden mehr, der auf meine Kinder aufpaßte. Der regelmäßige Besuch der Selbsthilfegruppe hatte mir während der letzten Monate doch ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Ich hatte viel gelernt von den anderen. Was nun? Ein anderes Kindermädchen war und ist bis heute nicht in Sicht. "Realitätsbezogenes Leben" fiel mir ein. Einfach, was ist Fakt? Fakt war: Ich hatte drei Kinder zu versorgen und zu betreuen. "Das ist mein Leben", sagte ich mir. Ich musste versuchen den "Sicherheitsfaktor Selbsthilfegruppe" durch etwas anderes zu ersetzen.
"An was mache ich meine Trockenheit überhaupt fest", fragte ich mich. Vielleicht daran, dass ich regelmäßig die Selbsthilfegruppe besuchte? Das konnte es nicht sein. Dann hätte ich ja meine Trockenheit von irgendetwas abhängig gemacht. Warum konnte meine Trockenheit denn nicht einfach unabhängig von äußeren Einflüssen sein. Müsste sie ja eigentlich auch, um auf Dauer Bestand zu haben. Was gibt es wichtigeres um meines Lebens willen? Da war ich wieder. Bei der Therapie war mir klar geworden, es ging um mein Leben. Das sagte der Kopf. Aber was sagte das Gefühl? Das Gefühl war noch nicht so ganz von dem überzeugt, was der Kopf vorgab. Aber hatte ich eine Alternative? Nein!
Ich wollte wohl auch unabhängiger werden. Mit diesen Fakten und Gegebenheiten leben, das wollte ich. Die Herausforderung annehmen. Offensiv weiterhin mein Leben gestalten. Bewusst positiv denken und handeln. Im meinem Interesse und dem meiner Kinder.

 

Zurück zu meinen Kindern:
Für meinen Sohn hatte sein Lehrer mehrere Übungsblätter erstellt. Ich habe aus dem Schreibwarenladen zusätzliches Arbeitsmaterial besorgt. Wir setzten uns hin und übten jeden Tag. Es musste einfach sein. Mein Sohn begann langsam zu begreifen, dass auch er etwas konnte. Nur er musste dafür mehr tun, als andere. Er hatte viel aufzuholen. Auch ich begann meine Grenzen der Belastbarkeit zu erkennen. Drei Kinder waren doch sehr viel Arbeit. Keine Möglichkeit auszuspannen oder abzuschalten, aber auch das wollte ich bewältigen. Etwas hat mir dabei geholfen. Ein Traum. Kurz vor oder während der Therapie hatten die Träume angefangen. Es war eigentlich fast immer derselbe Traum. Ich hatte wieder angefangen zu trinken, obwohl ich es eigentlich nicht wollte.
Irgendwie ergab es sich, dass ich einer fremden Stadt aufwachte. Mir war über. Ich hatte Kopfschmerzen und ich lag auf einer Parkbank. Neben der Bank eine halb leere Flasche Korn. Was habe ich getan? Das gibt es doch nicht. Ich habe wieder getrunken. Nein, das gibt es nicht. Ich will das nicht. Immer wenn ich soweit war, bin ich schweißgebadet aufgewacht.
Die ersten Male hatte ich mich gefragt, was das zu bedeuten hat. Bei meinem Traum im Frühjahr bin ich auch schweißgebadet aufgewacht und durch meine Fenster schien die Sonne. Ein herrlicher Morgen. Gott sein Dank, wieder nur ein Traum.
In Wirklichkeit habe ich keinen Rückfall gehabt. Ist die Realität nicht herrlich? Ich bin trocken. Ich deutete es so: Sogar in meinem Unterbewusstsein wehre ich mich dagegen, zu trinken. Meine Einstellung scheint zu stimmen. Aber was auch sehr wichtig ist: Früher versuchte ich mit Hilfe von Alkohol aus der Realität zu flüchten. Versuchte mich in eine Traumwelt zu trinken, und heute?
Heute ist mir das reale Leben viel sympathischer als diese künstlichen Träume. Ich bin mit der Realität zufrieden. Oder ich könnte auch sagen: "Ich lebe einen Traum, meinen Traum." Wie oft hatte ich mir im Suff gewünscht, mit meinem Leben zufrieden zu sein? Wie oft hatte ich mir gewünscht, anerkannt und respektiert zu werden? Von meinen Mitmenschen und meinen Kindern. Wie oft wollte ich auf das was ich mache, stolz sein?
Wie oft wollte ich anderen sagen können, seht her, hier bin ich und ich bin zufrieden mit mir, so wie ich bin? Aber viel wichtiger ist, wie oft wollte ich mir selber sagen können, "Du bist eigentlich ganz in Ordnung, so wie Du bist." Was gibt es wichtigeres im Leben als Gesundheit und Zufriedenheit mit sich uns seiner Lebenssituation? Für mich gibt es nichts schöneres, als sagen zu können, "Ich bin eigentlich ganz zufrieden."





 

Mitte Mai wurde das Wetter so gut, dass ich meinen großen Kindern ins Freibad ging. Meine Kleine ließ ich nachmittags bei meiner Bekannten. Meiner Ex-Frau ging es inzwischen wieder besser und sie passte zusammen mit der Bekannten auf unsere Kleine auf. Von ihrem gewaltfreudigen Freund hatte sie sich getrennt. Ich fragte mich am ersten Tag, ob es auch gut für die Kleine ist, dass ich sie da lasse.
Aber als sie abends gebracht wurde, war sie quietschvergnügt und lustig. Für mich ein Zeichen, dass es ihr ganz gut tut und so hatte es sich dann für einige Wochen eingespielt.
Anfang Juni ist bei uns in der Stadt immer Stadtfest. Die ganze Innenstadt wird gesperrt. "Die fünfte Jahreszeit." Für die Erwachsenen ein guter Grund in den zahlreichen Bierzelten und Bierständen sich zu betrinken und fröhlich zu sein. Während dieser fünf Tage ist es legitim, betrunken herumzulaufen. Auch sogenannte gut situierte Bürgen schlagen über die Strenge. Eine gefährliche Zeit für trockene Alkoholiker. Ich kenne mehrere, die regelmäßig zu dieser Zeit rückfällig werden. Für die Kinder ist es natürlich der Höhepunkt des Jahres. Karussells, Autoscooter, Riesenrad, Geisterbahn, usw..
Meine Kinder brachten meine finanziellen Mittel an den Rand der Belastbarkeit. Aber wie hatten Spaß. Einen Tag war die Mama auch dabei. Es lief ganz gut ab. Am Abend wollte meine große Tochter mit Mama noch einmal alleine hin für eine Stunde. Aus einer Stunde wurden vier und ich machte mir ernsthafte Sorgen. Nur weg konnte ich nicht. Ich hatte ja noch die anderen beiden Kinder. Als diese schliefen, wollte ich gerade los, als es klingelte. Ein Bekannter meiner Ex-Frau brachte meine Tochter nach Hause. Er lieferte sie nur an der Tür ab und verschwand wieder. Er hatte eine Bierfahne. Nach meiner Ex brauchte ich nicht zu fragen. Meine Tochter erzählte mir, Mama sitzt am Autoscooter und trinkt Bier. Alles kalr, dachte ich, es fängt wieder an bei ihr. Am nächsten Morgen bekam ich einen Anruf vom Jugendamt. Der Frau vom Amt sei berichtet worden, dass meine Tochter mit ihrer Mutter zu nächtlicher Stunde gesehen worden ist und die Mutter offensichtlich angetrunken und in Begleitung stadtbekannter Trunkenbolde. Ich erzählte ihr, wie das abgelaufen ist aus meiner Sicht. Zur Antwort bekam ich: "Wenn mir so etwas zu Ohren kommt, wird es eng für Sie." Paff. Das war ein Schuss vor den Bug. Die folgenden Wochen war ich dann immer dabei, wenn meine Ex mit den Kindern etwas unternahm. Ich habe auch mehrere Gespräche mit ihr geführt. In aller Deutlichkeit. Seit dem geht es einigermaßen. Sie betrinkt sich nicht mehr, wenn die Kinder dabei sind. Ihr neuer Freund trinkt überhaupt nicht und er macht auf mich einen anständigen Eindruck. Für meine großen Kinder ist er aber ein Störenfried. Eine Konkurrenz. Sie möchten fast gar nicht mehr zu ihrer Mutter, weil sie nie mit ihr alleine sein können. "Der ist ja immer dabei," sagen sie. Meine ganz Kleine findet ihn toll. Aber das ist wohl der Unterschiede zwischen kleinen Kindern und älteren Kindern. Meine Großen beginnen abzuwägen, zu überlege und nachzudenken.
Meine Kleine dagegen geht nur nach Gefühl. Es scheint ihr gut zu tun, regelmäßigen Kontakt mit ihrer Mutter zu haben. Einerseits ist es für mich leichter geworden, andererseits braucht so ein kleines Kind auch den Kontakt zu Mutter und Vater. Aber die Mutter war uns ist weiterhin ein Unsicherheitsfaktor in meinem Leben. Aber weiter im Text.



 

Bevor die Schulferien begannen, waren Abschiedsfeste in Schule und Kindergarten. Elternabend für meine Tochter, die eingeschult wurde. Mein Sohn bekam eine Spange und er sollte in den Ferien ins Zeltlager. Es war mal wieder viel zu erledigen, aber ein Bekannter aus der Therapie dem ich geschrieben hatte, dass es mir doch ein bisschen viel wird, meinte: "Eins nach dem anderen."
Ich notierte mir die ganzen Termin und Erledigungen auseinander und notierte sie mir auf meinen Kalender in der Küche. So konnte ich eines nach dem anderen angehen und erledigen. Zu den Elternabenden und Abschiedsfesten kam meine Ex vorbei und passte auf die Kinder auf, aber sie wollte und will weiterhin abends, wenn ich zur Gruppe wollte, nicht aufpassen, weil sie keinen Sinn darin sieht. Sie versteht bis heute nicht den Sinn und den Wert der Selbsthilfegruppe. Auf jeden Fall hatte es einige Anstrengungen gekostet, die Zeit der Ferien zu bewältigen. Mein Sohn fuhr ins Zeltlager und rief mich regelmäßig von dort aus an und ich hatte mehr Zeit für meine beiden Mädchen. Ich habe ganz bewusst mit en Mädchen viel unternommen. Jeden Tag Spielplatz oder Freibad. Auf einmal war mehr Zeit da. Ein Kind weniger merkte ich doch. Es ergab sich dann auch die Möglichkeit mal wieder meine Eltern in Bayern zu besuchen. Mein Ex-Schwager wollte mit seinem Sohn in Urlaub. Ein geplanter Ostseeurlaub klappte nicht. Wir verabredeten, wenn mein Sohn vom Zeltlager wieder da sein würde, nach Bayern zu fahren. Aber das war ein Problem. 5 Sitzplätze im Auto und 6 Personen, die mit sollten. Ich musste mich entscheiden. Meine Entscheidung fiel so aus: Ich und meine beiden Großen und Schwager mit Sohn. Meine Kleine ließ ich schweren Herzens bei meiner Bekannten mit ihrem Kind. Sie wohnt ja direkt neben meiner Ex, so konnten beide die Kinder betreuen. Es war für mich doch ein komisches Gefühl, sie für 5 oder 6 Tage nicht bei mir zu haben. Aber die beiden Großen wollten mal wieder nach Bayern zu Opa und Oma. Das letzte Mal waren wir 1995 dort zu Besuch und ich sagte mir, sie haben ein Recht darauf. Die Kleine kennt meine Eltern noch nicht, aber ich habe mir fest vorgenommen: "Beim nächsten Mal ist sie dabei."
Mit dem Zug wäre es für mich und die Kinder sehr stressig geworden. Außerdem wollten wir ja auch in der Gegend herum kommen. Auf jeden Fall habe ich mich so entschieden und es wurde ein schöner Urlaub.
Als wir bei meinen Eltern ankamen, fiel mir als erstes auf, dass sie in den letzten drei Jahren doch sehr gealtert sind. Mein ältester Bruder, Das Vorzeigemodel, rief an und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. An einem See wollten wir uns mit unseren Familien treffen. Es war herrliches Wetter. Vormittags machten wir die "Preußen-Tour". Kloster Ettal, Schloss Lindenhof und Oberammergau. Um 15.00 Uhr waren wir dann am See. Mein Bruder mit seiner Frau und den Zwillingen kamen angetrottet. In dem Menschengemenge wären sie fast an uns vorbeigelaufen. Ich rief ihm zu, er blieb stehen und er schaute. Mir schien, dass er mich sah, aber nicht erkannte. Dann kam er auf mich zu, gab mir die Hand und sagte: "Du hast Dich ganz schön verändert." Ich sagte: "Ich hoffe zum Guten hin." Er nickte und meinte: "Doch, zu Deinem Vorteil." Es wurde ein schöner Nachmittag. Das Verhältnis zwischen mir und meinem "Überbruder" hatte sich verändert. Er schien es zu akzeptieren, dass mein Leben sich nun in Norddeutschland abspielte. Die Jahre davor war es immer noch das Verhältnis großer und kleiner Bruder. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass wir beide Älter geworden sind. Der eine Akzeptiert den anderen eben so wie er ist. Jeder lebt sein Leben. Er hat uns für den nächsten Abend noch zum Grillen bei sich eingeladen. Abends saßen wir mit meinen Eltern zusammen und unterhielten uns über die letzten drei Jahre.
Die einzige, die sich ernsthaft dafür interessierte, dass ich trocken bin, war meine Mutter. Mein Vater und mein älterer Bruder nahmen es wohl nicht so wichtig. "So, Du trinkst nicht mehr, dann mach man so weiter", sagte meine Vater ehe beiläufig. Meine Mutter fragte schon nach, wie es mir mit meiner Abstinenz gehe. Dass auch die Kinder daran hängen und auch mein Leben.
Mein ältester Bruder kam abends immer nur kurz vorbei, sagte Hallo und verschwand wieder mit einer Bierfahne.
Meine Mutter erzählte mir, dass er jeden Tag trinkt und dabei ist, sich kaputt zu machen. Seine zerrüttete Ehe ist wohl sein Hauptgrund zu trinken. Er scheint aber auch nichts daran ändern zu wollen und er lässt sich auch nichts sagen. Wie ich früher. Er befindet sich auf dem besten Wege dorthin, wo ich schon war, nämlich ganz unten. Aber er muss seine Erfahrungen wohl selber erleben, wie ich!
Die fünf Tage vergingen sehr schnell. Abends rief ich immer bei meiner Ex an und erkundigte mich nach meiner Kleinen. Es lief ganz gut. Als Erkenntnis nahm ich aus Bayern mit, dass wir alle Älter geworden sind und unser Verhältnis zueinander sich verändert hat. Ich werde mehr akzeptiert und bin nicht mehr der kleine Bruder oder das jüngste Kind. Vielleicht oder wahrscheinlich weil ich endlich Verantwortung für mein Leben und das meiner Kinder übernehme. Ich glaube auch ein Stück erwachsener geworden zu sein. Er hat mal wieder gut getan, meine alte Heimar zu besuchen. Aber leben möchte ich dort nicht mehr. Ich bin jetzt hier zu Hause. Wieder zu Hause angekommen, rief ich bei meiner Mutter an, dass wir gut angekommen sind. Dann meldete ich mich bei meiner Ex. Die Kleine schlief schon. Sie wollte sie uns mach nächsten Morgen bringen. Als unsere Kleine am nächsten Vormittag wieder bei uns war, freute sie sich wie ein Schneekönig. Da merkte ich richtig, wie sehr sie mir gefehlt hatte. Anders herum was es anscheinend genauso. Die letzten Ferientage durfte ich schon wieder organisieren. Sie Arbeitsmaterialien für meine Tochter zum Schulanfang hatte ich schon längst besorgt. Genauso Tornister und Schultüte.
Die Einschulung verlief ganz gut. Der Lehrer von meinem Sohn nahm mich auf die Seite und meinte, dass mein Sohn auf dem richtigen Weg wäre und solle so weitermachen. Er findet es bewundernswert, wie ich mich um meinen Sohn bemühe. Hört sich gut an. Wieder eine Bestätigung für mich. Seit meine Tochter zur Schule geh, ist es für mich morgens auch weniger stressig. Vor den Sommerferien musste ich sie ja immer zum Kindergarten bringen und mittags wieder abholen. Nun geht sie mit ihrem Bruder zur Schule und kommt mit ihm auch nach Hause. Mit meiner Kleinen gehe ich trotzdem jeden Tag in die Stadt um einzukaufen und um bei Bekannten Kaffee zu trinken. Auf dem Nachhauseweg gehen wir noch an einem Spielplatz vorbei, wenn es das Wetter erlaubt. Am 19. September war dann wieder Ehemaligentreffen. Tage zuvor riefen schon einige an, um zu wissen, ob ich auch komme. Wir fuhren zu dritt dort hin. Der eine war letztes Jahr krank und konnte deswegen nicht mit. Auf dem Weg dorthin tauschten wir Erfahren aus. Als wir aus dem Zug ausstiegen, sahen wir schon einige bekannte Gesichter auf dem Bahnhof. Für mich war es diesmal nicht mehr das vertraute Gefühl, wie letztes Jahr, als ich am Bahnhof ausstieg. Irgendwie war es fremder geworden. Das Dorf und auch der Weg zur Klinik. Es war ein Jahr vergangen, als ich das letzte Mal dort war. Sehr oft hatte ich an die Zeit in der Klinik gedacht, in dem vergangenen Jahr. Ich bin um ein Jahr Abstinenzerfahrung reicher, dacht ich so für mich.
Nach Begrüßung und Mittagessen begannen um 13.30 Uhr wieder die Gruppengespräche. Jeder teilt seine Erfahrungen mit seiner Abstinenz mit. Einige Angehörige waren auch dabei. Als alle durch waren, bedankte sich unser Therapeut für die Offenheit und das war es fast. Jeder versuchte noch ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Auch ich. Es war ein kurzes Gespräch, andere wollten auch noch. Er drückte mir eine Plastiktüte mit Ausschnitten aus Zeitschriften in die Hand. Es waren Adressen von Verlage, an die ich schreiben könne, um meine Geschichte zu veröffentlichen. Das hatte ich ganz aus den Augen verloren. Die Betreuung meiner Kinder stand im Vordergrund. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mit Bekannten und Therapeuten zu sprechen. Als ich abends um 22.30 Uhr wieder in meiner Wohnung war, kam ich zur Ruhe und ich merkte, dass ich mir mehr von diesem Ehemaligentreffen versprochen hatte. Meine Kinder kamen am nächsten Tage wieder zu mir. Sie waren bei ihrer Mutter für den einen Tag. Die nächsten Tage wurde mir klar, dass das Ehemaligentreffen etwas gebracht hat. Nämlich die Erkenntnis, dass ich für meine Abstinenz wieder mehr tun will. Ich möchte das Gefühl haben, dass ich etwas dafür tue, dass ich trocken bin. Wenn ich anfange, es als selbstverständlich zu sehen, dass ich nicht mehr trinke, kann dies für mich er erste Schritt zurück sein. Als ich von der Therapie kam habe ich angestrebt, dass meine Abstinenz zur Normalität wird. Heute glaube ich, es darf für mich nicht normal werden, trocken zu sein. Vielleicht ist es für andere ein guter Weg, für mich aber nicht. Mein Weg besteht wohl darin, wach zu bleiben, bewusst zu leben und die Abstinenz nicht nur als Ergebnis anzusehen, sondern auch als Grundlage und Basis für mein weiteres Leben. Ohne Abstinenz wären die Veränderungen der letzten eineinhalb Jahre gar nicht möglich gewesen und meine Kinder wohl im Heim oder bei Pflegeeltern.
Wenn ich die Zeit nach meiner Therapie im Ganzen betrachte, kann ich eine sehr positive Bilanz ziehen für mich und meine Kinder. Die Grundziele, die ich mir gesteckt hatte, habe ich erreicht. Ich bin weiterhin trocken, meine Kinder und ich sind gesunde und wir leben in relativ geordneten Verhältnissen. Ich betone relativ, weil eine Optimal Lösung ist es nicht. Das Optimale für die Kinder wäre eine intakte Ehe, aber die Realität sieht eben anders aus. Es scheint aber den Umständen entsprechend eine vertretbare Lösung zu sein. Die Euphorie für das Trockensein in den ersten Wochen und Monaten hat sich doch etwas gelegt. Sachlichkeit ist in den Vordergrund gerückt. Ich bin trocken, aber warum? Ich bin zufrieden mit mir und meiner Lebenssituation, aber warum? Mir fällt es relativ leicht, trocken zu sein, aber warum? Diese Fragen stelle ich mir oft und ich komme immer zu den gleichen Antworten. Ich bin trocken, weil es für keine Alternative zum Trockensein gibt. Ich bin zufrieden mit mir und meiner Lebenssituation, weil ich etwas sinnvolles leiste für mich und meine Kinder. Für mich sind meine Kinder zum Lebensinhalt geworden. Ich kann jeden Tag an meinen Kindern etwas gut machen. Ist das nicht toll. Mir fällt es relativ leicht, trocken zu sein, weil ich glaube, den Sinn für mein Leben gefunden zu haben. Mein Sinn besteht darin, meine Kinder anständig groß zu kriegen. Und es ist für mich wie ein Geschenk des Himmel, dass ich das tun darf. Ich danke unserem Herrgott, dass ich diese Kinder habe und für sie sorgen kann. Das ist für mich viel wertvoller als alles Geld der Welt. Ich glaub ich bei ein Stück vom großen Glück des Lebens in den Händen und ich will es nicht mehr hergeben. Grundlage dafür ist aber, weiterhin abstinent und Bewusst zu leben.

 

 

Lichtblick-in-Bielefeld
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Mittwoch19:00 - 20:30

"Der eine sei des anderen Medizin"

 
altes Afrikanisches Sprichwort

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